Gekürzte Fassung in NZZ 13.4.2017
Von
der Vershittung und Verfuckung der Sprache
Das Heiliger-Fick-Scheiss-Nigger-Prinzip
Womöglich wird ein Baby schon bald als erstes Wort „shit“ oder
„fuck“ von sich geben. DieVershittung und Verfuckung der Sprache ist endemisch.
Erleben wir eine Zeit, in welcher der Unterleib zurückschlägt; einen Backlash
des Obszönen, nachdem der Neo-Puritanismus einer prüden politischen Korrektheit
uns das Lästermaul zu verbieten suchte? Dabei ist das Phänomen der Lalochezie -
des “Wörterscheissens“ als emotionalem Ventil - durchaus bekannt (lalia: „Rede“; khézō:
„defäkieren“).
Aufschlussreich ist schon die Etymologie. Man führt „obszön“
auf „caenum“ (Dreck) zurück, dann aber auch auf „scaena“ (Bühne): Dreck auf der
Bühne, Widerwärtiges in der Öffentlichkeit, explizit Dargestelltes also
(„explicit“ ist im Englischen ein Wort für Pornographie). Grob gesehen kann man
vier Gravitationszentren des Obszönen unterscheiden: das Heilige, den Körper,
die Reinheit und den Stamm. Daraus leiten sich die Beschimpfungsvarianten ab:
Entheiligen, Sexualisieren, Beschmutzen und Verunglimpfen. Der amerikanische
Kognitionswissenschafter Benjamin K. Bergen, der gerade ein Buch mit dem aparten
Titel „What the F“ veröffentlicht hat, nennt dieses Kategorisierungsschema unzimperlich
das „Holy-Fuck-Shit-Nigger-Principle“.[1]
Entheiligen
Das Holy-Prinzip ist auch bekannt als Profanierung. Profan
bedeutet ursprünglich „vor dem heiligen Ort“: ausserhalb des Sakralen. Entzieht
man also ein geweihtes Wort diesem Schutzbereich, ist das so, als würde man ihn
betreten und entweihen. Das Holy-Prinzip funktioniert natürlich nur in religiös
geprägten Gesellschaften mit ihren Tabus. Man braucht nicht gleich an den Islam
zu denken. Das europäische Mittelalter stand ganz im Zeichen des Heiligen und
kaum etwas war schlimmer, als wenn man „Bei Gott“ fluchte. Ganz schlimm: „Bei
den Nägeln Gottes!“ Man enthüllte nicht nur Christus’ Körper im Himmel, man
fügte ihm auch Schmerzen zu, als risse man seine Nägel aus. „Tear me no more/My
wounds are sore/ Leave swearing therefore,“ mahnt ein Gedicht aus dem Jahre
1509 den Fluchenden.
Sexualisieren
Das Obszöne wandelt sich mit der Zeit und dem
soziokulturellem Kontext. Seit dem Ende des 17. Jahrhunderts tabuisiert man in
Europa nicht den Körper Gottes, sondern jenen des Menschen. An die Stelle der
Profanierung treten das Fuck- und das Shit-Prinzip. Darin spiegelt sich zunächst einmal das ambivalente
Faszinosum des Sexuellen: verboten und begehrt, unrein und verehrt, sittsam
verhüllt und unsittlich enthüllt – das allgemeine Merkmal tabuisierter Dinge. Schon
im alten Rom – nicht gerade bekannt als Ort des Züchtigen – galt die explizite
Nennung von Genitalien und entsprechenden sexuellen Akten als schlimme
Obszönität. Das obszöne Wort ist „nackt“ - „nuda verba“ - , als ob mit ihm auch
die bezeichneten Schamteile sichtbar würden. Das dürfte die Verbreitung des
einschlägigen Wortschatzes nur befördert haben. Was „fuck“ heute, war damals
„futuo“.
Beschmutzen
Das Shit-Prinzip zieht uns in den Dreck. Dreckwörter atmen den
Geruch des Körperlichen, seiner Ausscheidungen, Ausflüsse, Ausdünstungen. Aber
eigentlich ist Dreck im übertragenen Sinn gemeint. Reinheit,
so schrieb die britische Anthropologin Mary Douglas, ist nicht primär eine
Kategorie der Hygiene, sondern des kulturellen Schutzes. Mit Schmutz verbindet
schon der Primitive das, was eine Ordnung gefährdet oder was nicht eindeutig
ist. Wer sich zweideutig ausdrückt, hat nicht nur einen schmutzigen Mund, sondern
womöglich schmutzige, subversive Absichten. Katholische Priester wurden im
protestantischen England des 16. Jahrhunderts der zweideutigen Rede
verdächtigt, verfolgt und sogar hingerichtet.
Hinzu kommt ein weiterer Aspekt. Dreck, so sagt man, ist
Materie am falschen Ort. Bewirft man jemanden mit Dreckwörtern, signalisiert man
zugleich immer auch, dass er am falschen Ort steht, und zwar aus den
diversesten Gründen: ethnische Zugehörigkeit, Religion, Hautfarbe,
Nationalität, Alter, politische Gesinnung, Gender, wirtschaftlicher Status,
physisches oder intellektuelles Vermögen, und was auch immer. Und hier wird es
mulmig.
Verunglimpfen
Das Nigger-Prinzip ist vermutlich so alt wie die Menschheit
selbst, seit sie in Stämmen den Planeten bevölkert. Mit dem Stamm kommt die
Stammeszugehörigkeit, und mit ihr das Beschimpfen des Anderen als
Nichtzugehörigen. Einen ersten Höhepunkt der Arroganz fand das Nigger-Prinzip
im klassischen antiken Schimpfwort „Barbar“: jener, der nicht die griechische
Sprache spricht. Auch hier erkennen wir das Merkmal des Schmutzes, des
Fehl-am-Platz-seins. Der Nigger gehört nicht zu uns. Zur Stigmatisierung eignen
sich nicht nur rassische Eigenheiten – Schlitzauge, Kanake, Kaffer, Kike
(amerikanisch für Jude) -, sondern generell kulturelle Andersartigkeiten wie
Esssitten – Tacofresser, Makkaroni, Maiser, Kraut -; soziale Herkunft – Prolo, Fremdarbeiter,
Redneck, Cotton Picker -; Randgruppen und Minderheiten – Hartzer, Grufti,
Junkie, Penner – ; mentale Defizienz - Mongo, Spasti, Sperg, Tard (englisch,
Abkürzung für „asperger“ und „retarded“). Der Stigmakatalog liesse sich bis zum
Brechreiz erweitern.
Es geht immer um das gleiche: Grenzen ziehen und ausgrenzen.
Grenzenlos ist dagegen die Phantasie, mit der diesem Prinzip gefrönt wird. Das
zeigt sich gerade heute, in den kulturell zersplitterten Gesellschaften. Es
gibt ja immer mehr „andere“. Und je mehr „andere“ es gibt, desto mehr
Kreativität muss in das Abstecken des eigenen Habitats investiert werden. Das
Schimpfwort erhält seine Funktion als Waffe im kulturkämpferischen Hauen und
Stechen.
Das
Kapitän-Haddock-Prinzip
Dennoch:
Schimpfen ist gut und gibt eine gute Laune. Psychologen sprechen von der
kathartischen und stressabbauenden Wirkung. Jeder hat auch sein Privatvokabular
an Invektiven, wie etwa die entsicherte cholerische Granate Kapitän Haddock.
Hier eine kleine Auswahl: Vegetarier, Technokrat, Bahnhofspenner, Karnikel,
Sandfloh, Rollschwanzaffe, Knastologe, Höllendackel, Pantoffeltierchen, Mückenhirn
in Aspik, gummibeiniger Satansbraten.[2]
Soviele
Zungen, soviele Flüche. Die meisten von uns tragen wohl die biografische
Erbschaft ungoutierter Erfahrungen oder Bekanntschaften mit sich herum, die
sich sehr gut als Reservoir für idiosynkratisches Lästern eignet. Ohne hier nun
ganze Berufsgruppen in Harnisch bringen zu wollen, erlaube ich mir en passant
ein kleines Comingout: Mein privater Schimpfwortschatz umfasst unter anderem
„Sekundarlehrer“ und „Betriebsökonom“; nicht besonders originell, ich weiss,
aber bei Gelegenheit ganz passend und Erleichterung verschaffend. Grundprinzip:
Man reisst das Wort aus seinem Normalgebrauch. Als Ausruf verwendet - „Du Sekundarlehrer, du!“ – kann es
irritieren, ohne dass der Angesprochene eigentlich genau weiss, was gemeint ist
und wie ihm geschieht – und ich selber ventiliere meinen psychischen Dampfdruck
und habe erst noch Huere-Spass dabei.
Von „Nigger“ zu „Nigga“
Umgekehrt
funktioniert das Prinzip auch: Man verschafft dem Schimpfwort einen neuen Normalgebrauch,
man nimmt es in eigenen Besitz. Schwule nennen sich Schwule und „entschimpfen“
dadurch das Wort; desgleichen die Lesben, englisch „dykes“. Als „Dykes on
bikes“ bezeichnen sich Motorradfahrerinnen in den USA jetzt stolz und
genderbewusst. Oder Rapper nennen sich „Nigga“. Wie der verstorbene Tupac
Shakur, eine Galionsfigur der Rapper-Szene, erklärte: „Nigger waren die, die am
Seil von den Bäumen hingen; Nigga sind jene, die goldene Seile am Hals tragen
und in den Clubs herumhängen.“ „Nigga“ hat es sogar schon zum Pronomen-Status
geschafft: „A nigga proud of myself“ bedeutet „Ich bin stolz auf mich“. Das
kann allerdings nur ein Nigga sagen.
Die
neue Schmäh-und-Hassrede
Im
Schimpfen sagen wir das Unsagbare. Wichtig ist ein gewisser kreativer
Imperativ. Heute stellen Sprachforscher –
„Malediktologen“ - wie Roland Ris oder Reinhold Aman eine Verarmung fest. Ein Schimpfwort
bezieht den Punch aus seiner Tabuisierung. Enttabuisieren wir es, leidet es an
invektivem Muskelschwund. So auch die Wörter aus der Fuck-und-Shit-Kategorie.
Das hat eine unliebsame, ja gefährliche Konsequenz. Moderne
Gesellschaften bauen auf das „Tabu“ der Unantastbarkeit der Person, des
Respekts vor dem Anderen (Immanuel Kant sah sogar etwas säkular Heiliges
darin). Das neue Schimpfen bricht mit diesem Tabu. Gegenwärtige Schmäh-und-Hassrede
bezieht ihre Energie grösstenteils aus der offensiven Verunglimpfung des
Andersartigen. Wenn es früher hiess „On est toujours le juif de quelqu’un“, so
wird jetzt Finde-deinen-Nigger nachgerade zum Gesellschaftspiel. Nigger: das
können auch Behinderte sein, Alte, Marginalisierte, Verlierer, Migranten, Fans
der gegnerischen Mannschaft. Das Nigger-Prinzip eignet sich vorzüglich als verbale
Vorschule zu physischer Gewalt. Es sitzt urhirntief in unseren Schädeln. Und mit
Verboten entzieht man ihm nicht den Boden, sondern ebnet ihn.
Holy-Fuck-Shit-Nigger-Politician
Möglicherweise
böte eine weitere Schimpfkategorie Gelegenheit zum kreativen Dampfablassen: die
Politik, vor allem auf Twitter. Der gegenwärtige Präsident der USA twittert ja,
als hätten die Nerven ihn und nicht er die Nerven unter Kontrolle. Anlässlich
seines Schottlandbesuchs 2016 verlautete er: „Just
arrived in Scotland. Place is going wild over the vote. They took their country
back, just like we will take America back. No games!“ Worauf ein ganzer Güllentank an Tiraden sich über ihn ergoss,
etwa: „Du könntest nicht realitätsfremder sein, als wenn Nessie dich in den
Arsch gebissen hätte“; „polyester cockwomble“ (Vollidiot aus Polyester“); „weaselheaded
fucknugget“ („wieselköpfiger Fickbrocken“) oder „tiny fingered, cheeto-faced,
ferret wearing shitgibbon“ („winzigfingriger, chipsgesichtiger Scheissgibbon
mit Frettchen auf dem Kopf“); „bolt ya
hamster heedit bampot, away and boil yer napper“ (schottisch für „hau ab,
hamsterköpfiger idiotischer Hooligan, und
geh deinen Schädel brühen“).[3]
Inzwischen
genügt bei vielen Politikern allein die Namensnennung oder Verballhornung. Legendär schon der
SPD-Politiker Herbert Wehner, der den CDU-Mann Jürgen Wohlrabe in „Übelkrähe“ umtaufte.
„Idi Alpin“ für Franz Josef Strauss ist auch nicht von schlechten Eltern. Oder
„Silvio Siliconi“. Heute spricht man von „Angüla Mürkel“, der „Erdo-Gans“. „Erdoganen“:
jede Kritik als Terrorismus abtun. Gut möglich, dass „Du Freysinger!“
schon bald zur Beleidigung erblüht, gerade in der „Üsserschwiiz“.
Dank
Politikern schlägt die Kreativität des Schmähens Purzelbäume. Man werfe einen
Blick in den „Urban Dictionary“[4]; oder
in die deutsche „Mund Mische“[5].
Guter Geschmack ist hier natürlich nicht die Leitlinie, wie überhaupt in den
Feuchtzonen der Sprache. Nicht selten stösst man auf bloss Widerliches. Wie in
der Politik eben.
[1] Benjamin K. Bergen: What the
F, New York, 2016. Historisch ergänzend und sehr instruktiv ist Melissa
Mohr: Holy Shit. A Brief History of
Swearing, Oxford University Press, 2013.
[2] Einen amüsanten Einblick in Haddocks Invektivenwortschatz gibt Albert
Algoud: Hunderttausend Höllenhunde:
Haddocks Einmaleins des Fluchens, Carlsen, 1999.
[3] https://qz.com/716915/donald-trumps-visit-to-scotland-inspired-some-very-creative-british-profanity/