Freitag, 20. März 2015

Über den Vernunfthass




Es mutet tief paradox an: Wir feiern die menschliche Rationalität in technisch-wissen­schaft­lichen Errungenschaften wie autonomen Robotern, Gensequenzierung oder Quantencomputern; und gleichzeitig befleissigen sich Neurobiologen und Psychologen, uns diesen ratio­nalistischen Dünkel auszutreiben. Wir sind gar nicht so smart, wie wir meinen, sagen sie uns, wir sind ein Knäuel aus Instinkten und Vorurteilen, unser Blick auf die Welt ist von kognitiven Verzerrungen heimgesucht - kurz: die sogenannte Vernunft, auf die wir uns so viel zugute halten, ist bestenfalls eine schöne Verpackung für einen eher dunklen Inhalt voller Irrationalitäten. Die  gegenwärtige Skepsis in die menschliche Rationalität speist sich zu einem beträchtlichen Teil aus der sogenannten Verhaltensökonomik, zumal seit Daniel Kahnemanns viel gelesenem Buch „Schnelles Denken, langsames Denken“, das uns das Misstrauen in den vernünftigen Homo oeconomicus im Besonderen, in den Menschen im Allgemeinen lehrte. Bereits der Psychologe Gerd Gigerenzer schlug den gleichen Stimmton an, und seither arbeiten Autoren wie etwa David Mc Raney oder Jonathan Haidt eifrig an einem neuen Mosaik des Menschen als eines von Intuition und Instinkten gesteuerten Wesens. Die Verehrung der Vernunft, so Haidt, ist das „Beispiel für den Glauben in etwas, das es nicht gibt.“ Analog zum Atheismus könnte man also vom Arationalismus sprechen.

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Rationalitätslästerung hat eine bewegte moderne Geschichte. Angefangen bei der Antithese der Romantiker gegen ein „rein“ rationalistisches Menschenbild, fand sie einen er­sten Höhepunkt bereits in den wütenden philosophischen Hammerschlägen Nietzsches, und die Grosskatastrophen der beiden Weltkriege lieferten Max Horkheimer und Theodor Adorno die Lizenz zur wohl vehementeste Absage an die moderne – die „instrumentelle“  - Vernunft.  Die „Dialektik der Aufklärung“ ist eine Schrift von grandioser Einseitigkeit, eine unbarmherzige General­abrechnung mit der Moderne, welche ihr Banner – die Aufklärung – in Fetzen reisst. „Aufklärendes Denken (enthält) schon den Keim zu jenem Rückschritt (..), der heute (1944! E.K.) überall sich ereignet“.Dabei fällt Naturwissenschaft und Technik die Täterrolle zu. Aufklärung mündet in Technik und Wissenschaft – so die Kernthese -, und Technik und Wissenschaft verdinglichen den Menschen, sie machen ihn zu einem in Labor, Fabrik, Krieg und Konsum verfügbaren Objekt, sie „liquidieren“ alles Individuell-Einzigartige an ihm in der „repressiven Egalität“ der Abstraktion, welche mit der Horden-Mentalität der Hitlerjugend zu vergleichen sei (sic). Auschwitz, Hiroshima und – für Ador­no das Schlimm­ste – Kunst als industrielle Massenware sind das logische Ende der „liquidierenden“ Rationalität.

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Horkheimer und Adorno massen die Vernunft an ihren negativen Auswüchsen. Dieses Vorgehen hat eine lange Tradition. Der Hass auf die Vernunft – die Misologie – zieht historische Spuren bis in die Antike. Für Plato war Misologie identisch mit Menschenhass – mit Misanthropie. Denn der Mensch ist per definitionem das „vernünftige Tier“. Woher stammt dieser Hass? Platon diagnostizierte eine enttäuschte Erwartung in die rationale Überzeugungskraft, die sich leicht durch Scheinargumentation und Rechthaberei kompromittieren lasse. Zum Misologen kann man werden, sagt Sokrates im Dialog „Phaidon“, wenn man mehrmals einem Vernunftschluss getraut habe, der sich aber bei genauerer Betrachtung als fehlerhaft erweist. Der Misologe missdeutet die eigene Unfähigkeit, logisch zu denken, als Defizit der Logik selbst. Anders sah das der grosse Vernunftphilosoph der Neuzeit, Immanuel Kant. Er führte die Misologie auf den natürlichen menschlichen Hang zur Glückseligkeit und zum Lebensgenuss zurück. „In der Tat finden wir auch,“ schreibt er, „dass, je mehr eine kultivierte Vernunft sich mit der Absicht auf den Genuss des Lebens und der Glückseligkeit abgibt, desto weiter der Mensch von der wahren Zufriedenheit abkomme, woraus bei vielen (..) ein gewisser Grad von Misologie, als Hass der Vernunft, entspringt..“ Die „kultivierte“ Vernunft ist also eine Genuss- und Glückstörerin, die vom Menschen erst noch gewisse Anstrengungen abverlangt. Und wenn es ums Abwägen geht, zieht die Vernunft gegenüber dem Instinkt oft den Kürzeren.

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Dieser Gedanke führt geradewegs zur modernen Verhaltensforschung. Denn sie weist immer wieder nach, wie stark der Mensch von Instinkten und Voreingenommenheiten getrieben, und wie schwach angeblich die Kontrolle seiner Urteilskraft ist. Kahnemann demonstrierte dies anhand zahlreicher Experimente, die er mit dem Psychologen Amos Tversky durchführte. Letztlich resultierte ihre Forschung in einer Demontage des Paradigmas der klassischen Ökonomie: des rational abwägenden Homo oeconimicus. „Rational“ entscheidet nach diesem Paradigma eine Person dann, wenn sie das Eigeninteresse maximiert. Aber schon das klassische spieltheoretische Beispiel des sogenannten Gefangenen-Dilemmas zeigt, dass Handeln aus Eigeninteresse zu suboptimalen Entscheidungen führen kann. Zwei Komplizen einer Straftat sitzen voneinander isoliert in Untersuchungshaft, der eine weiss nicht, was der andere tut. Gestehen beide, beträgt die Strafe vier Jahre Haft. Gesteht der eine, der andere aber nicht, führt dies beim ersten zur einjährigen Mindest-, beim zweiten zur sechsjährigen Höchststrafe. Gestehen beide nicht, bekommen sie zwei Jahre Haft. Das wäre, objektiv gesehen, der optimale Nutzen für jeden. Aber in der geschilderten Situation „menschelt“ es. Wenn der eine nicht gesteht,  kann er nicht sicher sein, dass der andere dasselbe tut.  Aus dieser misstrauischen Eigenperspektive heraus entscheiden sie sich für das Gestehen, handeln in diesem Sinne also nicht „rational“.

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Kahnemann und seinem Kollegen Amos Tversky ging es primär um falsche Entscheidungen aus Voreingenommenheit, oder wie es im Fachjargon heisst: aus kognitiver Verzerrung (Bias). Berühmt geworden ist das „Linda-Problem“. Und schon hier stellt sich die Frage: Was heisst eigentlich „falsch“? In einem Experiment gab man den Probanden folgende Information: Linda ist eine Frau von 31 Jahren, Single, offen und ein helles Köpfchen. Sie hat einen Abschluss in Philosophie. Als Studentin engagierte sie sich in Fragen der sozialen und rassischen Diskriminierung und nahm an Anti-Nuklear-Demonstrationen teil. Daraufhin stellte man den Probanden die Frage: Ist es wahrscheinlicher, dass Linda Bankangestellte oder dass sie zugleich Bankangestellte und Feministin ist? Wer auf die erste Antwort tippt, liegt richtig, denn in beiden Fällen ist Linda ja Bankangestellte. Dennoch tendiert die Mehrzahl der Befragten dazu, die zweite Option als wahrscheinlicher zu betrachten. Kahnemann spricht von einem „Konjunktions-Fehlschluss“. Aber urteilen die Befragten falsch? Nicht unbedingt. Logisch gesehen, sind die biografischen Daten über Linda zur Beantwortung der Frage irrelevant. Die wenigsten von uns handeln jedoch im Alltag logisch im strikten Sinne des Wortes. Es erscheint im Setting des Experiments durchaus „rational“, die Daten als irgendwie repräsentativ für Linda zu betrachten. Jene Befragten, die für die zweite Antwort optierten, liegen nicht falsch, wenn sie aus Gründen biografischer Plausibilität schliessen, dass Linda eher Bankangestellte und zugleich Feministin ist. Boshafterweise könnte man sagen, dass man in ihnen mit dem Versuchsarrangement überhaupt erst jene kognitive Verzerrung hervorruft, die man dann nachzuweisen sucht.

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Anders gesagt: man „schubst“ sie mittels ausgewählter Informationen zu einer bestimmten Entscheidung an. Das erweist sich im heutigen Konsumuniversum als von zentraler Bedeutung. Denn in ihm sind wir permanent mit gösseren und kleineren Entscheidungen konfrontiert: Essen, Kleidung, Auto, Handy, Sportart, Mobiliar, Ferienort, Arzt, Krankenkasse, Altersvorsorge, Stromanbieter, Netzserver, Politiker – immer haben wir die Wahl. Das Angebot der Wahlmöglichkeiten wächst stetig und ihre „Schubser“ versetzen uns quasi in einen metastabilen Dauerzustand, in dem wir riskieren, vor lauter Möglichkeiten das Gleichgewicht zu verlieren, das heisst nicht zuletzt: uns von falschen Entscheidungen leiten zu lassen. Um aus ihnen zu lernen, hat der amerikanische Rechtswissenschafter Cass Sunstein eine neue Politik vorgeschlagen, die er mit dem Begriff des „Schubsens“ („Nudge“) umschreibt.  Die Schubs-Politik scheint bei Regierungen durchaus Anklang zu finden. Barack Obama berief Sunstein zum Berater (2009 bis 2012). Die britische Regierung baute ein „Behavioral Insights Team“ auf - informell bekannt auch unter dem hübschen Namen „Schubser-Einheit“ („Nudge Unit“). In Frankreich, Australien und  Brasilien trägt man sich mit ähnlichen Plänen.

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Auf den ersten Blick hat diese Politik durchaus etwas für sich. Wir alle handeln oft auf eine Weise, die wir bei eingehender Abwägung vermieden hätten. Wir essen zu fett und trinken zuviel Alkohol, verschieben die Vorbereitungsarbeiten für eine Prüfung, kaufen immer nur teure Markenkleider, werfen Esswaren mit noch nicht verfallenem Datum in den Abfall, halten Verabredungen nicht ein ... Solche Unvernünftigkeiten sind alltäglich. Meist haben wir schlicht keine Zeit, uns auf ausgeklügelte Erwägungen einzulassen. Könnte uns da nicht eine entsprechend gestaltete Umgebung – eine „Entscheidungsarchitektur“ -  helfen, das „Vernünftige“ zu tun? Eine Schulmensa präsentiert zum Beispiel gesunde Esswaren auf Augenhöhe der Schüler, während sie Junkfood in eine weniger sichtbare Ecke relegiert - eine einfache Entscheidungarchitektur. Ihr Prinzip: Nimm eine Schwäche der Schüler – Trägheit der Aufmerksamkeit, die sich vor allem auf direkt vor den Augen Liegendes richtet  – , verbinde sie geschickt mit einem Entscheidungsdesign – Anordnung des Essens - , und die Schüler werden in Richtung „richtigen“ Essverhaltens geschubst. Auf eine ähnliche Weise liessen sich die Bürger eines demokratischen Systems für gute Zwecke schubsen, für Organspenden, Unterstützung von öffentlichen Bibliotheken in der Dritten Welt, eine CO2-ärmere Lebensart oder den Kauf von Fair-Trade-Produkten.

Schubsen setzt also bei menschlichen Schwächen – Gewohnheiten, Stereotypien, Trägheiten – an, es versucht sie nicht primär zu korrigieren, sondern bloss sanft in eine gewünschte Richtung zu lenken. Die Wahl hat nach wie vor das Individuum. Schubsen liegt zwischen den Polen des regulatorischen Zwangs (Gurtenobligatorium) und der emanzipatorischen Entscheidung aus eigenen Stücken (Spende an UNICEF). Wenn Sunstein in diesem Zusammenhang von „aufgeschlossenem Paternalismus“ spricht, dann meint er den emanzipatorischen und nicht den regulatorischen Pol. Das heisst, letztlich dient Schubsen der Stärkung der individuellen Urteilsfähigkeit.

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Das ist das Best-Case-Szenario. Wie aber steht es mit der Vertrauenswürdigkeit und Kompetenz der Schubser? Gerade angesichts des Manipulationspotenzials heutiger Technologie sind grosse Zweifel angebracht. Es klingt schon fast rührend, wenn Sunstein uns versichert, dass Regierungen Berater wie ihn beschäftigen, die, edel gesinnt, verschiedene Alternativen eines politischen oder ökonomischen Kurses durchrechnen, ganz um des Bürgerwohls willen. Wenn uns also eine öffentliche Politik zu einem vernünftigen Verhalten anschubsen will, dann ist es immer angezeigt, zu fragen: Wessen Vernunft? Die Vernunft einer Elite oder die Vernunft des individuellen Bürgers? Die Historikerin Barbara Tuchmann schrieb schon 1984 ein Buch über die Torheit der Regierenden. Und der Moralphilosoph Alasdair MacIntyre meldete seine Zweifel etwa zur selben Zeit an: „Dem Konsumenten, dem Wähler, dem Individuum im Allgemeinen wird das Recht zugestanden, seine Präferenzen in einem Angebot von Alternativen zu äussern, das Spektrum diese Wahlmöglichkeiten wird hingegen gesteuert von einer Elite. Selbst die Präsentation der Alternativen wird von der Elite kontrolliert. Entsprechend hoch wertet (sie) im liberalen System (..) die Kompetenz der überzeugenden Präsentation von Wahlmöglichkeiten – das heisst, die Kompetenz in den kosmetischen Künsten.“

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Die Anthropologie des Schubsens ist von einem Rationalitäts-Pessimismus geprägt: Der Kunde reagiert weniger auf Argumente, als auf Anreize. Das mag in vielen Fällen zutreffen, aber die Schubs-Psychologen erheben diesen Satz zum Axiom, zum Glaubensartikel. Er ist nicht empirisch zu bestätigen, sondern begründet einen Typus von Empirie, die im menschlichen Verhalten vorab „Torheiten“ sucht. Schubsen ist Torheits-Management. Das hat etwas Beleidigendes. Man nimmt mich nicht als Subjekt wahr und ernst.  Vielleicht schubse ich mich ja selbst, aber dieses Schubsen ist ein Akt der Autonomie, dem ein gewisses Nachdenken und Erwägen vorausging. Kant nannte diesen Akt Handeln aus Einsicht, im Gegensatz zum Handeln nach Regeln. Ersteres ist die Grundlage des mündigen Subjekts, in Politik und in Wirtschaft. Wir mögen nicht so smart sein, wie wir meinen; aber doch immerhin smart genug, den Unterschied zwischen beiden Handlungsarten zu bemerken. Dieses Unterscheidungsvermögen bildet die Basis einer (noch zu schreibenden) Kritik der konsumatorischen Vernunft.

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Man möchte Sunstein gerne glauben, wenn er beteuert, dass Schubsen im Dienst der menschlichen Autonomie und Würde stehe. Nichtsdestotrotz manifestiert sich darin eine gegenläufige Tendenz der externen Beeinflussung, als deren Worst-Case-Szenario die Skinnerbox in Sicht kommt: Das ganze Konsumuniversum der permanenten alltäglichen Entscheidungen als das Labyrinth von Laborratten, die ein Schubser in die gewünschte Richtung lenkt. Nur zum Besten des Konsumenten, versteht sich. Vergessen wir die Warnung Kants nicht: „Eine Regierung, die auf dem Prinzip des Wohlwollens gegen das Volk als eines Vaters gegen seine Kinder errichtet wäre, d.i. eine väterliche Regierung, wo also die Untertanen als unmündige Kinder, die nicht unterscheiden können, was ihnen wahrhaftig nützlich und schädlich ist, sich bloss passiv zu verhalten genötigt sind (..), ist der grösste denkbare Despotismus.“

Mittwoch, 11. März 2015

Risikoumkehr: Gefahr als Rettung




Die Designer von neuer Technik preisen ihre Produkte vorzugsweise im Namen der Sicherheit an. Ein interessantes Gegenprojekt zu diesem Sich-in-Sicherheit-wiegen-durch-Technik ist als „Konzept des umgekehrten Risikos“ bekannt geworden. Das Konzept klingt einfach und einleuchtend. Wo alles geregelt, voraussehbar, ungefährlich erscheint, ist der Hang zur Unachtsamkeit, zum Risiko und Abenteuer auch höher. Macht man daher Dinge und Artefakte „gefährlicher“, wächst unser Gefahrensinn. Ein Beispiel: Die häufigsten Unfälle im Haushalt sind Vergiftungen und Stürze. Was, wenn man nun etwa Badewannen oder Treppen rutschiger aussehen lässt oder bestimmte Substanzen als „gefährdernder“ markiert als sie in Wirklichkeit sind? Würde man dadurch nicht auch unsere Aufmerksamkeit und unseren „Respekt“ für sie schärfen? Wie der Technikdesigner Donald Norman schreibt:
„Wir leben heute zu bequem, zu sehr isoliert von den Gefahren und Risiken (..)  im Umgang mit komplexen, mächtigen Maschinen. Wenn Motorräder und Automobile, wenn Geräte und Substanzen so riskant erscheinen wie sie sind, würden die Leute vielleicht ihr Verhalten entsprechend ändern. Wenn aber alles schalldicht abgedämpft, gepuffert und keimfrei ist, sind wir der realen Risiken nicht mehr gewahr. Deshalb müssen diese Risiken wieder auf eine realistische Art ins Bild gerückt werden.“[1]

Was das konkret heisst, zeigt ein Experiment im öffentlichen Raum: shared space. Es geht von geradezu „revolutionären“ Gedanken aus, dass der Mensch die Verantwortung für seine Mobilität entdeckt. Hans Mondermann: „ Shared space gibt den Leuten die Verantwortung für ihre Bewegungsformen zurück. Der Verkehr ist nicht mehr durch Signale geregelt, die Leute regeln ihn selber. Und genau dies ist die Idee. Strassenbenutzer sollten aufeinander achten und zu ihren gewöhnlichen Manieren im Alltagsverkehr zurückkehren. Die Erfahrung zeigt, dass die Zahl der Unfälle durch eine solche Massnahme rückläufig ist.“[2]

Mit welcher Reserve man diese Idee auch zur Kenntnis nimmt – sie stellt das übliche Konzept vom Kopf auf die Füsse, vom Sicherheits- zum Unsicherheitsdenken sozusagen. Dahinter verbirgt sich aber ein weiterführender Gedanke: Die smartesten Objekte sind jene, die unsere eigene Smartheit ergänzen, statt sie zu ersetzen. Sie bieten eine Intelligenz-Kollaboration an. An ihnen zeigt sich im Übrigen der Imperativ der Techniknutzens: Lass die Geräte nicht nur auf unbewusster Ebene auf dich wirken, sondern hebe den Gebrauch auf die reflexive Ebene. Das Problem ist nicht die Technik, sondern ihr unbewusster – viszeraler – Gebrauch.




[1]   Donald Norman: The Design of Future Things, Es bewahrheitet sich hier eigentlich in vollem Umfang, was Arnold Gehlen bereits vor über einem halben Jahrhundert klar sah. Zu den sozialpsychologischen Befunden einer durchautomatisierten Gesellschaft zählte er auch den „Verlust eines Realitätsinnes“: „..eine von der Industrie umgeschaffene, durchtechnisierte Aussenwelt, in der sich Millionen von ichbetonten, selbstbewussten und auf Anreicherung ihres Erlebens bedachten Menschen bewegen und für die das folgenlose, verpflichtungslose Lebendigwerden an irgendwelchen ganz beliebigen Reizen und Eindrücken (..)  nichts Fragwürdiges ist..“ (Arnold Gehlen: Die Seele im technischen Zeitalter, S.63)
[2]   Hans Mondermann www.shared-space.org

Montag, 2. März 2015

Forme(l)n des Nichtdenkens (Fortsetzung)



Der Fehlschluss des ersten Schritts

In der Artificial Intelligence erfreut sich eine Argumentationslogik verbreiteter Beliebtheit, die man einfach so wiedergeben könnte: Mehr vom Gleichen ist besser. Beflügelt vom sogenannten Moore­schen „Gesetz“, wonach sich die Schaltkreiskomponenten auf einem Chip regelmässig alle 12 bis 24 Monate verdoppeln, ging man davon aus , dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis die ersten Computer das Intelligenzniveau des Homo sapiens erreichen würden. Nur ist die Logik dürftig. Genauer gesagt steckt in der Argumentationslinie ein Wurm, der sogenannte Fehlschluss des ersten Schritts: Wenn erst einmal ein erster Schritt getan ist, dann führt eine endliche Anzahl Schritte zum Ziel. Man muss einem „dummen“ System – einem Computer – nur genügend viel Komponenten beifügen, bis er Intelligenz zeigt. Anders gesagt: Intelligentes Verhalten ist dummes Verhalten, beliebig oft und richtig zusammengebastelt. Mein Auto zeigt in diesem Sinn eine „Art von“ Intelligenz, wenn es bei nicht geschlossener Wagentür piepst; mein Smartphone zeigt eine „Art von“ Intelligenz, wenn es mich daran erinnert, dass ich noch Brot und Milch einkaufen soll. Nur: wann ist ein künstliches System „wirklich“ intelligent, und nicht bloss eine „Art von“ Intelligenz? Ab wie viel Körnchen ist kein Sandhaufen ein „wirklicher“ Sandhaufen? Ist ein einziges Körnchen eine „Art von“ Sandhaufen? Zweifellos führt das Erklettern eines Baumes den Affen ein bisschen näher zum Mond. Aber das heisst für den Affen-Astronauten nicht, dass er diese Schritte einfach immer wiederholen muss, um schliesslich auf dem Mond zu landen.

  Die Geburt des Terrors aus dem Geist des Spektakels Terroristen überbieten sich mit Abscheulichkeiten, genauer: mit der Inszenierung von A...